Eingemeindung

Die Eingemeindung Mölkaus - das Ursache-Wirkung-Prinzip (1/2)

Auf der Suche nach den Gründen für diverse Probleme blickt man auch zurück - auf den 1. Januar 1999

veröffentlicht 22.10.2018

Unsere Nachlese: In einem Brief an den sächsischen Ministerpräsidenten vertiefen wir die Gedanken aus unserer Wortmeldung beim Sachsengespräch in Leipzig


Das Erlangen höherer finanzieller Zuflüsse ist als Ziel von Landes- und Kommunalpolitik durchaus akzeptabel. Leider hat man dies nicht im Wege der Anpassung der Steuergesetzgebung lösen wollen, sondern wählte den Umweg über die Gemeindegebietsreform. Die Steuerkraft der ins Umland abgewanderten gutverdienenden Bürger und Unternehmen sollte wieder den großen Städten direkt zukommen. Die Folge der Eingemeindung war die Übernahme aller wesentlichen Entscheidungen durch die Stadt Leipzig. Oder anders – die Entmündigung der Einwohner der jeweiligen Gemeinden.  
Im Sachsengespräch, zu dem am 10. Oktober 2018 in der Universität Leipzig Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gemeinsam mit dem Leipziger OB Burkhard Jung (SPD) zum Ideen- und Gedankenaustausch einluden, haben wir dies in einem Wortbeitrag gegenüber dem Ministerpräsidenten anreißen können (siehe LVZ). Aufgrund der Tiefgründigkeit unseres Wortbeitrages bzgl. der Eingemeindung und den daraus resultierenden Folgen für Mölkau und seine Bewohner reichte die Redezeit leider nicht aus, um alle Aspekte entsprechend zu beleuchten. In einem Brief an die Staatskanzlei Dresden sowie den Oberbürgermeister unserer Stadt legen wir noch einmal ausführlich unsere Situation in Mölkau/Zweinaundorf dar. 
Im Folgenden finden Sie den genauen Wortlaut:



"Sächsische Staatskanzlei
Archivstraße 1

01097 Dresden
          Mölkau, im Oktober 2018


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmer,

Sie waren am Mittwoch, 10. Oktober 2018, Gastgeber und Gesprächspartner des Sachsengespräches in der Universität Leipzig. Ein sehr geeignetes Format, um die häufig große Distanz zwischen Politik und Bevölkerung zu überbrücken. Ich würde es begrüßen, diese Gesprächsebene zwischen Ministerpräsident, Regierung und Volk dauerhaft in der sächsischen Politik zu etablieren. Darin können wir Sachsen gern einen eigenen Weg gehen; in Fortsetzung einer Leipziger Tradition, die bereits im Herbst 1989 unter kluger Vermittlung des damaligen Gewandhausdirigenten Kurt Masur eingeübt wurde.
Thema eines kurzen Gedankenaustausches zwischen uns war die zwangsweise Eingemeindung von Mölkau / Zweinaundorf nach Leipzig Anfang 1999 und deren Folgen für die Menschen im Ort. Innerhalb der einstündigen Fragestunde konnte dieses Ereignis und dessen Auswirkungen natürlich nicht weiter vertieft werden. Ich habe mich kurz gefasst und hätte doch sehr viel mehr zur Diskussion und zum Nachdenken vorbringen wollen. Dies möchte ich hier nachholen und damit auch Anregungen geben für konkretes Handeln der sächsischen Staatsregierung, des Leipziger Stadtrates, der Verwaltung und nicht zuletzt für den Oberbürgermeister von Leipzig.
Die Gemeindegebietsreform 1998 ist ein politisches „Kind“ der sächsischen CDU. Kein Wunder also, dass negative Auswirkungen dieser Entscheidung von den Menschen zuerst an die Adresse der CDU gerichtet werden. Der von der SPD dominierte Stadtrat von Leipzig hatte seinerzeit diesen Vorgang wohlwollend sekundiert, lockten doch künftig höhere Einnahmen an Steuern und höhere Zuwendungen aus Dresden, mithin größere „Gestaltungsspielräume“, soweit man darunter in der Politik das Verteilen anwachsender Geldsummen versteht.
Das Erlangen höherer finanzieller Zuflüsse ist als Ziel von Landes- und Kommunalpolitik durchaus akzeptabel. Leider hat man dies nicht im Wege der Anpassung der Steuergesetzgebung lösen wollen, sondern wählte den Umweg über die Gemeindegebietsreform. Die Steuerkraft der ins Umland abgewanderten gutverdienenden Bürger und Unternehmen sollte wieder den großen Städten direkt zukommen.
Die Folge der Eingemeindung war die Übernahme aller wesentlichen Entscheidungen durch die Zentrale. Oder anders – die Entmündigung der Einwohner der jeweiligen Gemeinden. Es gab jetzt wieder: wir hier, die da in der Entfernung, wir hier unten, die da oben. Doch ich will nicht polemisieren, sondern konkrete Beispiele nennen, die jeden aufrichtigen Politiker aktiv werden lassen müssten.

Ortsbibliothek: die Stadt Leipzig hat in den letzten Jahren das Netz der Zweigstellen der Stadtbibliotheken erheblich ausgedünnt. Schon vor Jahren sollte dem auch die Bücherei in Mölkau zum Opfer fallen. Der örtliche Heimat- und Kulturverein hat die Schließung verhindert und die Trägerschaft übernommen sowie die Ausleihe durch Freiwillige organisiert. Die Bibliothek befindet sich in unserer Mittelschule, wofür die Stadt Leipzig Miete verlangt. Die bezahlt der Heimat- und Kulturverein. Zuschüsse im Gegenzug von der Stadt Leipzig – Fehlanzeige. Wenn die Sparkasse dem Heimat- und Kulturverein dankenswerter Weise gelegentlich eine Spende überweist, dann werden davon auch Mietrückstände beglichen. Wissen die Entscheider in der Stadt eigentlich, welch Gemeinsinn stiftende Wirkung von unserer Bibliothek ausgeht? Die sollten sich das Gewusel von alt und jung mal vor Ort ansehen. Oder die zentrale Stadtbibliothek am Leuschnerplatz. Ob dort ebenfalls nur Ehrenamtler arbeiten? Hier gestatte ich mir einen Hinweis auf die Sächsische Gemeindeordnung (§ 64, Abs.4), die dem Ortschaftsrat – auch für diese Angelegenheit – ausreichende Haushaltmittel zuspricht. Ich sehe hier einen Rechtsanspruch, der von der Stadt Leipzig nicht erfüllt wird.

Straßen und Gehwege: ein explizit in der sächsischen Gemeindeordnung – allerdings absolut ungenügend – geregeltes Handlungsfeld. Der Zustand der Gehwege in unserem Ort ist erbärmlich, viele Kilometer bestehen schlicht aus festgetretenem Dreck. Dies würden die Menschen vielleicht akzeptieren, wenn sich hier nicht wieder manifestiert: ihr seid es uns nicht wert, gleich behandelt zu werden, ihr steht hinten an. Sie, Herr Ministerpräsident kommen viel herum und können selber testen: halten Sie nach zehn Minuten Fahrt außerhalb von Mölkau in einem beliebigen klitzekleinen Dörflein an und Sie werden dort durchweg gepflegte Straßen und Gehwege mit Beleuchtung vorfinden. Besuchen wir unser Leipzig, dann wurden wir erst vor wenigen Wochen bei einer Umfrage aufgefordert, aus drei Vorschlägen für ein neues Pflaster für den Nikolaikirchhof zu wählen. Die vorgestellten Qualitäten waren respektabel und reichten in der feinsten Version kostenmäßig an die Million Euro Baukosten heran. Wer dazu nicht mehr den Kopf schütteln kann, ist für die Politik schon verloren. (Hoffentlich treten bald die Denkmalschützer in Aktion und erhalten uns eben jenes Pflaster, auf das protestierende Bürger von der DDR-Staatsmacht gewaltsam geschleudert wurden.)

Unsere Rathäuser: wir haben deren zwei, in Mölkau und in Zweinaundorf. Eins zu viel, es wurde längst verkauft und der Erlös dem Stadtsäckel zugeführt. Nein, diesen Verkauf konnte der Ortschaftrat nicht verhindern. Das verbliebene Rathaus in Mölkau bietet ein Abbild unserer demokratischen Wirklichkeit im Ort: es wird auf Verschleiß gefahren. Besuchen Sie den Sitzungssaal des Ortschaftsrates gern, bringen Sie aber lieber ein paar Lampen mit, damit es wieder hell wird. Und meiden Sie die Toiletten, diesen trostlosen Ort. Für die Räumlichkeiten im Rathaus, die von Mölkauer Vereinen genutzt werden, muss „natürlich“ Miete gezahlt werden. Wohlgemerkt – für „unser“ Rathaus.

Verkehr: Wohl typisch für die Ränder der großen Städte, erstickt unser Ort im immer weiterwachsenden 

Durchgangsverkehr: Niemandem bei uns fehlt das Verständnis dafür, dass Menschen aus dem Umland in die Stadt zur Arbeit mit dem Auto fahren. Aber es ist auch hier die Zentrale, die notwendige politische Entscheidungen auf die lange Bank schiebt und uns mit diesem Problem allein lässt. Die Geithainer Brücke in Engelsdorf, die früher einen Teil dieses Verkehrs aufgenommen und damit aus dem Ort herausgehalten hat, wird von der Stadt Leipzig seit Jahr(zehnten) nicht saniert. Sie ist gesperrt und gammelt weiter vor sich hin. Stichwort „Mittlerer Ring Ost/Südost“. Mit keiner Entscheidung für eine konkrete Trassenführung kann man politisch in Leipzig einen Blumentopf gewinnen. Also – entscheidet man, seit Jahrzehnten, lieber gar nichts. Als Zeichen des politischen Aktionismus wurde jüngst im Rathaus eine Taskforce für die Verkehrsproblematik ins Leben gerufen. Wir Mölkauer halten dies für eine Totgeburt. Wenn wir auf das Ergebnis dieser Taskforce hoffen, müssen wir weiter Jahre mit Dreck und Lärm erdulden. Dann stürzen die Bauruinen entlang der höchstbelasteten Straße in unserer „Ortsmitte“ endgültig in sich zusammen. Nein, soweit werden wir es nicht kommen lassen und einen hörbaren Protest organisieren!

Heimatfest: Herr Ministerpräsident, der langjährigen Tradition des jährlichen Heimatfestes in unserem Ort, die auch nach Eingemeindung noch mit viel ehrenamtlichen Herzblut einige Jahre am Leben erhalten werden konnte, ist die Puste, sprich das Geld ausgegangen. Allein die Kosten für die (Amtsdeutsch) verkehrsrechtlichen Maßnahmen sind so hoch, dass diese nicht mehr getragen werden können. An Brauchtumsmitteln erhalten wir 2 (in Worten: zwei) Euro pro Jahr und Einwohner. Früher war es gar noch weniger. Aus diesem erbärmlichen Budget soll der Ortschaftsrat neben anderen Aufgaben auch noch ein minimales finanzielles Fundament für ein Heimatfest bauen? Vielleicht können Sie hier mit dem Kopf schütteln? – siehe oben!

Für heute möchte ich schließen und den Blick aus den Niederungen des konkreten Alltags nach vorn, nach oben richten. Herr Ministerpräsident, Sie sind angetreten, auf die Menschen zuzugehen und ihnen zuzuhören (wir haben verstanden…). Gestatten Sie mir den Ratschlag: in Mölkau brauchen wir keinen Beichtvater, keine Beschwerdestelle, auch keinen Erläuterer. Wir brauchen hier auch kein Mitspracherecht (welch genial verführendes Wort). Wir brauchen hier wieder in allen örtlichen, unser Leben und unsere Gemeinschaft betreffenden Belangen die Gestaltungs-, das heißt die Entscheidungsgewalt. Korrigieren Sie diejenigen Folgen der Gemeindegebietsreform, die die Gemeinschaft und die Demokratie schwächen. Verhelfen Sie dem Prinzip der Subsidiarität wieder zum Durchbruch! Dafür fordern wir einen gerechten Anteil der Einkommens- und Gewerbesteuer, die die Menschen hier durch ihre Arbeit erwirtschaften, wieder zurück in unsere Gemeinschaft – für unsere Gemeinschaft. Diese im Ort zu gestalten sind wir hier klug genug und ausreichend demokratisch verfasst. Den politischen und rechtlichen Rahmen dafür zu schaffen – dazu fordern wir Sie, Ihre Regierung, die regierenden Parteien im Landtag und ebenso den Stadtrat und den Oberbürgermeister von Leipzig auf.
Wir laden Sie und alle politischen Akteure zu einem direkten und ernsthaften Dialog nach Mölkau ein. Unsere Herzen und Türen stehen offen. Sollte dies so bald wie erhofft nicht möglich sein, dann können wir gern unseren Dialog der Post anvertrauen.
Gemeinsam mit vielen Gleichgesinnten engagiere ich mich im Verein „Initiative pro Mölkau“ für die Belange der Menschen hier im Ort. Von unserem „Sachsengespräch“ und von diesen Zeilen habe ich im Verein berichtet. Naturgemäß war das Interesse sehr groß, nicht minder ist die Erwartung auf Ihre Reaktion.
Den Oberbürgermeister Burkhard Jung hatten Sie in Ihre Antwort an mich mit einbezogen. Er saß ja direkt neben mir und sagte spontan eine weitere Vertiefung des Themas bei seinem nächsten Besuch in Mölkau zu, konnte diesen allerdings erst für das kommende Jahr in Aussicht stellen. Damit die Dinge auch hier in Leipzig in Bewegung kommen, sende ich eine Kopie dieses Schreibens an unser Stadtoberhaupt, verbunden mit dem gleichen ernsthaften Gesprächsangebot.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, danke fürs Lesen, danke für Ihre Zeit. Lassen Sie uns gemeinsam etwas für die Menschen verbessern! So geht sächsisch (immer noch).

Mit freundlichen Grüßen aus Mölkau

Tilo Döge
Initiative pro Mölkau e.V."

auch als pdf zum Download


Es geht nicht ums Klagen. Es geht uns um positive Veränderungen. Dazu fordern wir die Unterstützung der gewählten Vertreter des Landes und der Stadt.

[Diesen Artikel finden Sie auch in unserem Archiv unter Eingemeindung - Nachlese Sachsengespräch (22.10.2018)]


Lesen Sie auf Seite 2 das Antwortschreiben der Sächsischen Staatskanzlei.
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